Wie wir im Team den Transvulcania 2017 auf La Palma gerockt haben
Der Transvulcania 2017 ist ein
Wir und kein
Ich. Denn die 74,33 Kilometer und 4.350 Höhenmeter bin ich nicht alleine gelaufen.
Es ist kurz hinter dem ersten Verpflegungspunkt. Die Sonne ist mittlerweile aufgegangen, und der Vulkansand ist einem weichen Waldboden gewichen. Ich habe angehalten, die Stirnlampe im Rucksack verstaut und gegen meine Sonnenbrille eingetauscht. Ich versuche ein bisschen Boden gut zu machen, den ich gleich zu Beginn verloren habe, als das Läuferfeld wie irre um die vorderen Plätze auf dem Singletrail gut hundert Meter hinter dem Start gekämpft hat. Ich überhole, blicke nach oben und denke: Diese beiden Läufer kommen dir irgendwie bekannt vor. Es sind
Christian und
Flo. Wir kennen uns vom #Twitterlauftreff und haben uns vor zwei Tagen bei der Startnummernausgabe das erste Mal persönlich getroffen.
„Ach, geh“, sagt Christian, „dich haben wir schon beim Roque de los Muchachos vermutet.“
Wir laufen gemeinsam
Wir laufen gemeinsam weiter. Es geht stetig bergauf; bis auf 1844 Höhenmeter zieht sich der erste Anstieg. Und die Insel bietet einen ersten Eindruck ihrer vielseitigen Schönheit: Die Vegetation wird karger, und im schwarzen Vulkansand wirken die vereinzelten Bäume wie aus einer anderen Welt.
Das Tempo ist gemäßigt, wir reden über vergangene Läufe, das Training, über das, was heute noch vor uns liegt. Christian hat Knieprobleme und weiß nicht, ob und wie er die Downhills packen wird. Gerade der letzte Downhill hat es in sich: Auf 17 Kilometern geht es beim Transvulcania 2.400 Höhenmeter bergab – das wird wohl selbst mit gesunden Knochen eine irre Anstrengung.
Aber noch geht es bergauf, noch setzen wir gleichmäßig die Stöcke, die im Sand versinken, und ziehen uns Stück für Stück nach oben. Es ist anstrengend in dem zum Teil tiefen Sand zu laufen. Immer wieder drängelt sich ein anderer Läufer zwischen uns, aber wir finden immer wieder zusammen.
Skifahren durch den Vulkansand
Nach Kilometer 17 geht es zum ersten Mal bergab. Nach dem Transgrancanaria fürchte ich die Downhills auf den Kanaren, die häufig sehr technisch sind und steinig – ein Untergrund, den ich nicht gewohnt bin und den ich im harmlosen Odenwald nicht trainieren kann. Aber dieser Downhill macht richtig Spaß. So anstrengend der Vulkansand bergauf ist, so viel Spaß macht er bergab: Wir gleiten wie auf Skiern hinunter.
Es geht wieder in den Wald hinein, der Trail wird ein wenig technischer mit einzelnen großen Steinen und Wurzeln, aber er ist immer noch sehr gut laufbar – genau nach meinem Geschmack. Bei Kilometer 24 und nach 4:30 Stunden erreichen wir El Pilar, den Startpunkt der Marathon-Distanz beim Transvulcania 2017. Flo und ich warten kurz auf Christian, der den Downhill etwas langsamer angegangen ist, um sein Knie zu schonen. Ich schaue auf das Angebot des Verpflegungsstandes und bin enttäuscht; bis auf Bananen und Orangen gibt es hier nichts für mich. Keine Nudelsuppe, nichts, das den Bauch füllen würde. Also ein weiterer Riegel und ein Gel, den Magen verkleben.
Im Nebel durch den Zauberwald
Auf dem Weg aus dem Verpflegungspunkt heraus reiche ich Christian meine Stöcke und creme mich sorgsam mit Sonnencreme ein – bevor wir für gut drei Stunden im feuchten Nebel verschwinden. Plötzlich ist die Sonne weg, wir laufen in einem lockeren Tempo über einen welligen Forstweg durch die Wolken. Die fehlende Nudelsuppe macht sich bemerkbar; wir unterhalten uns über Essen und Ernährung. Dann betreten wir einen Zauberwald – der Nebel ist noch dichter geworden, die üppige Vegetation bedeckt den Trail wie ein schützendes Dach. Hinter jeder Kurve, so denkt man, steht ein Elf und reicht uns ein Lembas-Brot. Von hier geht es nun wieder bergauf, bis zum Roque de los Muchachos auf 2.420 Höhenmetern, dem höchsten Punkt des Transvulcania 2017.
Skyrunning: 3.200 Höhenmeter auf 42 Kilometern
Wir verlassen die Wolken. Die Sonne ist intensiv, aber die Wärme ist noch gut auszuhalten. Wir werden schweigsamer. Als wir nach 7:30 Stunden die Marathon-Marke erreichen, stecken uns bereits knapp 3.200 Höhenmeter in den Beinen. Nicht umsonst gehört der Transvulcania zu der Skyrunning-Series. In der Ferne sehen wir die Sternenwarten, noch zehn Kilometer von uns entfernt. Danach geht es bergab. Ob wir uns darauf freuen sollen? Im Moment möchte ich einfach nur diesen alten Vulkanschlot erreichen, für meine Kinder zwei Vulkansteine einsammeln – so habe ich es versprochen – und (hoffentlich) etwas Vernünftiges essen.
Hier gibt es keinen Schatten – nur noch Steine und Sand und den Blick auf die Wolken, die wie fette Wattebäusche unter uns an der Insel hängen, so als könne man sich sanft in sie hineinfallen lassen. Die Kilometer ziehen sich; immer wieder geht es für ein kurzes Stück nach unten, immer wieder entfernt sich die Höhenmeter-Anzeige der Uhr von der Zielmarke. Dann ein letzter besonders steiler Anstieg und wir betreten das Verpflegungszelt, an dem der Wind unablässig zerrt.
Wir werden gemeinsam finishen
Der Blick wandert die Tische ab. Da sind sie: Nudeln mit Gemüse. Nach 10:24 Stunden die erste richtige Mahlzeit. Jetzt aber nicht zu viel essen. Gleich wirst du beim Downhill durchgeschüttelt, nicht dass der Magen rebelliert. Ich suche draußen nach ein paar schönen Steinen. Es ist kalt, fast eisig, als ich das schützende Zelt verlasse und der Wind durch meine verschwitzten Klamotten fährt. Ich verstaue die Steine im Rucksack. Flo, Christian und ich lassen uns fotografieren, dann stürzen wir uns in den Downhill vom höchsten Punkt bis hinunter zum Ozean. Es ist klar, dass wir den Transvulcania 2017 gemeinsam finishen werden.
Da unten wartet der Ozean
Naja, stürzen ist zu viel gesagt. Wir laufen so locker es die Beine noch ermöglichen und wandern, wenn der Trail zu technisch wird. Nichts riskieren, lautet die Devise. Die Stöcke sind auch jetzt eine große Hilfe; sie sichern den Stand, wenn man mal etwas schräg aufkommt, und helfen, wenn größere Höhen zu überbrücken sind. Wir kommen wieder in den Wald, die Trails sind wieder laufbarer. Ich finde einen guten Rhythmus und laufe vorne weg.
Zehn Kilometer – dann haben wir 1.200 Höhenmeter geschafft und den nächsten Verpflegungspunkt erreicht. Wir brauchen über zwei Stunden. Ich bin ein paar Minuten vor Flo und Christian am Torre del Time bei Kilometer 61,9. Als erstes kommt Flo, und als ich mir schon Sorgen mache, dass Christians Knie doch noch Zicken gemacht hat, biegt er um die Ecke. Die Oberschenkel brennen. Aber es liegen weitere 1.230 Höhenmeter downhill vor uns, die sich auf lediglich sieben Kilometer verteilen. In der Ferne sehen wir den Ozean.
Über Serpentinen nach Puerto de Tazacorte
Ich laufe wieder vorne weg. Die Trails werden technischer, dann geht es fast senkrecht über Asphalt zwischen Bananenplantagen dem Kliff entgegen. Läufer tippeln mittlerweile rückwärts, um die Muskeln zu entlassen. Ich will nur noch unten ankommen. Enge Serpentinen, die mit großen Natursteinen unregelmäßig gepflastert sind, führen das Kliff nach unten. Konzentration – an den Seiten geht es senkrecht nach unten. Dort liegt Puerto de Tazacorte. Musik und die Stimme eines Sprechers, der Läufern und Zuschauern anheizt, dringen nach oben.
Ich laufe dem Ziel entgegen, klatsche ein paar Kinder ab, dann bin ich durch. Das Ziel des Marathons liegt hinter mir. Bis zum Ziel des Ultramarathons in Los Llanos sind es noch fünf Kilometer.
Stöcke, die wie Kreide scharren
Dieses Mal muss ich ein bisschen länger auf Flo und Christian warten. Unterwegs hätte ich nicht anhalten können – nur nicht den Flow unterbrechen, immer schön im Rhythmus bleiben. Eine letzte Stärkung mit Bananen und Orangen, dann machen wir uns an den Endspurt. Der Weg führt ein steiniges Flussbett entlang, bevor es noch mal 300 Höhenmeter steil zwischen Bananenplantagen nach oben geht. Dieser Transvulcania macht es einem nie leicht – auch nicht zum Ende. Wir passieren eine Läuferin, die die Stöcke über den Asphalt neben sich her schleift. Sie hat Kopfhörer in den Ohren, ich aber höre dieses scharrende Geräusch wie Kreide auf einer Tafel. Vorbei, weiter, nach fast 15 Stunden auf den Trails fehlen mir dafür die Nerven. Schließlich sind wir oben, die letzten Höhenmeter liegen hinter uns. Der ersehnte blaue Fahrradweg führt schnurrgerade und eben nach Los Llanos.
Wir joggen ins Ziel des Transvulcania 2017
„Kommt, das laufen wir“, sagte ich zu Christian und Flo. „Oder zumindest joggen. Ins Ziel wird nicht gegangen.“
Und wir joggen dem Ziel entgegen, überholen noch einige Läufer, die auch nicht mehr joggen können. Menschen in den Cafés am Straßenrand feuern uns an. Dann geht es nach links zum Zieleinlauf. Überall Menschen, die jubeln. Laute Musik, Los Llanos ist eine einzige Party. Nebeneinander laufen wir dem Zielbogen entgegen.
Wir waren an diesem Tag elend langsam unterwegs, und unsere Platzierung ist nach 15:16:43 gelaufenen Stunden keine Erwähnung wert. Aber dies hat keinerlei Bedeutung. Es war ein unvergesslicher Lauf über eine Insel von atemberaubender Schönheit. Ein Lauf, bei dem
Ich gestartet bin und
Wir angekommen sind.
6 Antworten
Was für ein toller Bericht zu einem tollen Lauf. Vielen Dank für die Begleitung und dass wir diesen Wahnsinnstag zusammen erleben durften.
Vielen Dank, lieber Christian. Freut mich sehr, dass dir der Bericht gefällt. Es war mir eine Vergnügen und eine Ehre mit Euch gelaufen zu sein. Ein unvergesslicher Tag. Hoffentlich auf bald.
LG
Bert
Geiler Bericht, ich hatte Gänsehaut. Ich will das auch!! 😉
Reaktion der Holden nebenan auf der Couch: „Mach doch. Dann machen wir Badeurlaub unten am Strand.“
Sohn: „Ich glaub es hackt!“
Dank dir, Martin. Ich habe schön öfters einen Lauf mit Familienurlaub verbunden. Klappt ganz gut.
Servus Bert, danke für die tollen und emotionalen Einblicke in dein Transvulcania-Erlebnis. Wir haben deinen Beitrag direkt in der Laufbericht-Liste auf unserem Transvulcania-Bericht hinzugefügt. Schöne Grüße, Jochen
Hallo Jochen, dank dir!
Viele Grüße
Bert